Fußballgeschichte akribisch in Klarsichtfolie archiviert von Udo Schölch (Leonberger Kreiszeitung 09.08.2002)

LEONBERG  An das erste Mal kann sich Marcel Dussling gut erinnern: "Ich war fünf und mit meinem Großvater im Neckarstadion. Der VfB spielte gegen den Hamburger SV'', sagt der 27-Jährige. Dort in Stuttgart hielt er zum ersten Mal eines dieser Hefte in der Hand, der Grundstock für mittlerweile insgesamt 1300 Exemplare von Stadionzeitungen, Vereinsnachrichten und Festschriften, die der Ditzinger in 50 Stehordnern archiviert.

"Ich wollte Infos aus erster Hand und habe damit auch Lesen gelernt'', nennt Dussling, Mitglied des VfB Stuttgart und Dauerkartenbesitzer, die Triebfeder seiner Sammelleidenschaft. Oft nahm er gleich zehn Stadionhefte des VfB mit nach Hause, "damit ich dann mit Freunden tauschen konnte'', meint er und relativiert: Heute seien es aber "nur noch fünf''. Sein "Sammelgebiet'' hat er bald abgegrenzt: Er konzentriert sich auf die Heim- und Auswärtsspiele des VfB und auf die Länderspiele der Nationalelf.

Schon bald stellte sich dem Jugendlichen Dussling die Frage: "Was mache ich mit den Stadionzeitungen?'' 1993 wurde er Mitglied der 1984 gegründeten Deutschen Programmsammler Vereinigung (DPV) in Duisburg, in der heute rund 300 Gleichgesinnte mit den unterschiedlichsten Sammelgebieten vertreten sind. Der Ditzinger bezieht seine Fußballhefte entweder per online-Auktion im Internet, über Sammlerkollegen oder auch bei Streifzügen über Flohmärkte.

Der Archivar aus Leidenschaft versucht, Ordnung in seine Sammlung zu bringen und hat deshalb eine Bestandsliste angelegt: 25 Seiten stark - die Heim-und Auswärtsspiele des VfB und der Nationalelf, von denen Dussling Stadionzeitungen vorliegen, sind akribisch nach Datum und Anlass katalogisiert. Die in Klarsichtfolie liebevoll abgelegten Hefte sind ein Stück Fußball- und Zeitgeschichte.

Aus dem Jahr 1946 stammt sein ältestes Stück aus den VfB-Annalen: Sonntag, 6. Januar 1946, Süddeutsche Oberliga, VfB Stuttgart gegen VfR Mannheim. Das Stuttgarter Sportblatt zum Preis von damals zehn Pfennigen im DIN- A5-Format ist ganze vier Seiten "dick'', die Seiten im Lauf der Zeit braun und angegilbt. Damals wurden die Stadionzeitungen nicht vom Verein selbst, sondern von Verlagen produziert. "So richtig los ging's mit einer vereinseigenen Zeitung beim VfB 1974/75'', vermutet Dussling und blättert in seinem Ordner weiter in die Saison 1976/77, an deren Ende der Wiederaufstieg in die erste Liga steht. Vor dem letzten Saisonspiel gegen Schalke 04 prangt in "Stadion Aktuell'' die Überschrift "Bundesliga wir sind wieder da''. Im Innenteil Fotos von Kelsch, Rohleder, Hitzfeld, Müller, Förster, dem Trainer Jürgen Sundermann und eine Mannschaft, deren Trikots noch die Aufschrift Frottesana ziert. Aus einer der Klarsichtfolien zieht Dussling beinahe andächtig Nationalelf-Geschichte: England gegen Deutschland in Wembley am 1. Dezember 1954. Im Aufgebot Seeler, Derwall und Posipal. Anders als bei Briefmarken ist das Sammeln von Stadionzeitungen noch vergleichsweise günstig: "Das hab ich vor acht Jahren einem englischen Programmsammler für drei Mark abgekauft'', sagt Dussling. Tiefer in die Tasche hat der Schwabe bei der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Deutschen Fußballbundes aus dem Jahre 1925 gegriffen: "76 Euro am 03.08. 2002'', dokumentiert er. Dafür stammt das Vorwort im Einband vom damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg.

Wie hat sich die Stadionzeitung von ihren Anfängen bis heute verändert? "Die Papierqualität wurde besser und das Format hat sich geändert'', so Dussling. Mittlerweile dominiere der Farbdruck und die Hochglanzaufmachung. Die Werbung mache mittlerweile fast 50 Prozent der Stadionzeitungen aus. Aber auch der Schreibstil habe sich geändert: "Früher liest sich das wie ein Schüleraufsatz, eine fast träumerische Art der Berichterstattung, heute ist das professionelle Arbeit mit dem Ziel der Anzeigengewinnung'', bilanziert Dussling.

Bald reichte ihm das pure Sammeln nicht und er machte die Hefte lieber gleich selbst. Ab 1991 betreute er die Stadionzeitung der TSF Ditzingen und war bis 1999 Pressesprecher und stellvertretender Abteilungsleiter. Seit der Saison 2001/2002 erstellt er die Stadionbeilage der Steelers vom SC Bietigheim-Bissingen. Im April 2002 eröffnete er seine eigene Internetseite www.stadionheft.de. Sie soll den Mitgliedern als Forum dienen.

Trotz aller Bemühungen wird er sein Sammelgebiet VfB Stuttgart nicht schließen können: Das ist durch eine Vielzahl an Freundschafts-, Europacup- und DFB-Pokal-Spielen nur schwer eingrenzbar. "Andere Vereine wie Dortmund oder Gladbach haben einfach mehr Tradition und Sammler'', vermisst Dussling hier Gleichgesinnte. "Für den VfB bekomme ich leichter Auswärts- als Heimprogramme'', beklagt Dussling, der an der Fachhochschule Aalen Kunststofftechnik studierte. "In Großbritannien ist das Sammeln von Stadionzeitungen so beliebt, wie bei uns das Briefmarkensammeln'', sagt Dussling wehmütig und schließt seinen Ordner.